Jesus is the answer – was hat sich Andraé Crouch eigentlich gedacht, als der diese Zeile schrieb? Vielleicht gar nicht allzu viel? Waren die Zeiten anders? Jesus sei die Antwort für die Welt heute – da frage ich mich: Auf welche Frage genau? Der Song ist toll, keine Frage. Was aber nagt an mir bei diesem wundervollen Song?
Vorweg: Meine Absicht ist nicht, etwas kaputt zu denken, sondern etwas Wichtigeres ganz zu denken – nämlich wie Jesus von seinen Leuten heute in der Gesellschaft dargestellt und wie er dort empfunden und verstanden wird.
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Ich habe den Gedanken zu „Jesus is the answer“ mal aufgeschnappt, vor Jahren. Seitdem hat er mich nie mehr losgelassen. Ein Redner erzählte: „Da ist dieser Kerl, der in der Straße steht und predigt: ‚Jesus is the answer – Jesus ist die Antwort!‘ und ein junges Mädchen kommt vorbei. Sie hört zu und schaut ihn dann an und fragt: ‚Was ist denn überhaupt die Frage?'“
Man kann kaum besser zusammenfassen, was heute das Problem mit dem Christentum ist. In seinem oft – scheinbar – sich selbst genügsamen heiligen Dasein hat das Christentum keine Ahnung davon, zu welcher Frage Jesus überhaupt die Antwort wäre. Es will Antworten auf nicht vorhandene Fragen geben. Wieso?
Ich sehe diese große Frage nicht einmal zur Zeit der Bibel aufkommen. Es ist gut möglich, dass es in vielen Leben des alten Roms, Griechenlands und im Spätjudentum keine existenziellen Fragen gegeben hat. Manche könnten behaupten, denen ging es auch ohne die Christen ganz gut. Diese oft herbeizitierte existenzielle Krise, in welcher heute angeblich viele enden und dann Jesus als die Antwort auf ihre Fragen bezeugen, kann ich – nun ja – nur bedingt nachvollziehen.
Für bereits etablierte Christenmenschen ist Jesus bestimmt die Antwort. Aber auch hier: Auf was?
Und erst recht in der säkularen Gesellschaft, in der selbstkritische Fragen nur spärlich von den Massen gestellt werden? Welche Antwort sollte Jesus da sein?
Jesus kam, als niemand explizit nach ihm fragte. Er predigte, den Verstand für neue Informationen zu öffnen. Er erklärte, dass sich Dinge ändern werden. Dann nahm er in Anspruch, Gott zu sein, und forderte Gehorsam. Wann immer er Fragen beantwortete, blieb er gewöhnlich kryptisch und prophetisch. Seinen Jünger blieben mit der Aufgabe zurück, ihren Nachkommen zu erklären, was er meinte. Und mit dieser Aufgabe haben sie ordentlich ringen müssen. Zu sagen „Jesus ist die Antwort“, ist also letztlich nur eine sehr verdichtete theologische Aussage, die existenzielle Fragen von vornherein annimmt.
Hier schließt sich für mich ein Kreis. Wie würde sich jemand, der/die nicht nach einem bestimmten christlichen Weltbild und Werten erzogen wurde, überhaupt von einer Aussage wie „Jesus is the answer“ angesprochen fühlen?
Unsere säkulare Welt hat keine Fragen. Sie hat Antworten – auf alles. Also warum nicht die Taktik ändern? „Jesus is the question! – Jesus ist die Frage!“ Das ist zumindest, was er tat. Er kam und er stellte bestehende Denkweisen, Gesellschaft und ethische Normen in Frage und dann bot er alternative Denkweisen an.
Das ist, was Christentum machen sollte! Jesus brachte Fragen. Deshalb ist es auch fatal für das Christentum, zu glauben, Jesus sei die Antwort. Ich mag Jesus als Frage, die die Menschen dazu zwingt, alles zu überdenken – sich selbst, ihre Idee von Gemeinschaft, Werte, Kommunikation und Verhalten. Jesus als Frage würde wohl sagen: „Glaubt ihr ernsthaft, wie ihr heute denkt, sei gut für euch?“
Marco Herr ist Autor von KLARTEXT und auch sonst ziemlich fleißig. Auf seiner Homepage erfährst du, was er beruflich macht (herrmarco.de).
Titelbild: freie Nutzung.