Wie Jesus sein – dazu ruft Paulus die Philipper auf (Phil 1,5). Sie sollen die Gesinnung Christi annehmen und sich aus ihrer Comfort-Zone wegbewegen – und zwar in die Gesellschaft von Menschen. Einen Schritt, den Jesus laut Johannesevangelium auch gemacht hat: „Er kam in das Seine …” (Joh 1,11). Das heißt: Er kam, blieb nicht da oben sitzen und rief seine Botschaft nicht von oben herab.
Paulus fordert Christen dazu auf, sich der staatlichen Autorität zu unterwerfen (Röm 13,1-2). Außerdem sagt er: ‚Haltet Gottesdienste bitte so ab, dass die Gesellschaft euch nicht für verrückt hält (1 Kor 14,23-24). Euer alltägliches Verhalten soll den ethischen Normen der Gesellschaft entsprechen (Röm 13,13-14). Was ihr tut, soll sich innerhalb eurer Gesellschaft als ehrbar und anständig ausweisen (1 Thess 4,11-12).’ Paulus Botschaft ist klar: Gemeinde ist Teil des kulturellen Umfelds, das sie umgibt. Abschottung ist kein Teil des Programms. Auch bei Jesus nicht, der sagt: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen” (Joh 17,15).
Nur, wie dient man Gott in der Gesellschaft? Ganz einfach, indem man der Gesellschaft dient. Da kommen die Leute zu Jesus und fragen: ‚Na hör mal, wo haben wir dich denn hungern oder gefangen gesehen (Mt 26,34ff)?’ Jesus antwortet: ‚Genau da, wo diese hungernden und gefangenen Leute waren.’ Das zeigt: Gott dienen und lieben geht nicht in der Isolation. Es geht durch und über die Liebe zum Nächsten. Das ist die Summe dessen, was Gott will (Mt 22,37-39): „Das höchste Gebot lautet: Du sollst den Herrn deinen Gott lieben … und das zweite ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.”
Was macht Liebe aus? Wenn man jemanden liebt, ist er oder sie einem wichtig. Wenn man jemanden liebt, hat man Interesse an seinem oder ihrem Schicksal, möchte helfen, da sein, unterstützen. So wie Jesus eben: Heilen, sich kümmern, Zeit verbringen. Die Frage, ob man sich überhaupt in die Gesellschaft hineinbegibt, stellt sich nicht. Das ist vielmehr das Grundelement des christlichen Lebens. Die Frage lautet eher: Wie geht Liebe konkret?
Die Bibel liefert bereits in den Zehn Geboten eine soziale Perspektive. Der Schutz des anderen, der Respekt vor dessen Gütern und Besitz, das Kümmern um die Eltern (2 Mo 20,2-17). Jesus vertieft die alttestamentliche Vorstellung in der Bergpredigt (Mt 5-7), wenn er auf das Almosengeben und das Wohl des Nächsten hinweist. Auch sozial Schwache („Witwen und Waisen” Mk 12,39ff; Apg 6,31) zu schützen, ist in der Bibel allgegenwärtig. In diesem Sinne ärgert sich Paulus über den Umgang mit sozialen Klassenunterschieden bei den Korinthern (1 Kor 11,21f).
Also, wie nimmt man an der Gesellschaft teil? Indem der/die Einzelne sich in bestehende Strukturen einbringt – oder Strukturen schafft, die anderen helfen. Das ist Leben: Einander helfen, wo man kann. Also: Was kannst du tun? Ganz buchstäblich!? Der Künstler darf und soll Kunst machen. Die Politiker Politik. Die Ärzte, Juristen und Manager das, was sie können. Reiche können ihr Geld nutzen, um anderen zu helfen. Man kann sich mit Bekannten zu Aktionen zusammentun. Sich Zeit fürs Ehrenamt nehmen. Etwas gründen. Das Potenzial von Menschen erkennen und fördern helfen, sollte Leidenschaft christlicher Gruppen sein. Genauso Menschen zu helfen – besonders Leuten, die es sonst schwer haben (Immigranten, Alleinerziehende, Kranke usw.).
Dabei sind alltägliche Fragen wichtig: Was braucht die Gesellschaft wirklich? Was kann ich dazu beisteuern? Wie kann ich meine christliche Wertvorstellung ganz praktisch in mein Umfeld einbringen? Welche meiner Fähigkeiten werden gebraucht? Wie kann ich – ich nenne es mal – kompetenzorientiert lieben (Röm 12,6-9)? Merkt die Welt es, wenn meine Kirche morgen nicht mehr da ist? Was bringen wir dieser Gesellschaft?
Wenn man buchstäblich für andere tut, was man kann, nimmt man die Gesellschaft automatisch an die Hand. Das ist die Gesinnung Christi, das ist Nächstenliebe, das ist das Reich Gottes. Indem man wie Jesus hingeht und nicht wartet, bis die Leute in die Kirche kommen. Welchen Grund sollten sie auch haben, das von sich aus zu tun?
Marco Herr ist Autor von KLARTEXT und ist auch sonst ziemlich fleißig. Auf seiner Homepage erfährst du, was er beruflich macht (herrmarco.de).
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